Samstag, 1. September 2018

Faszination: Kleinstadt


Eine Großstadt, sei es jetzt Wien, New York oder Moskau, eignet sich schlecht als Handlungsort für einen Horrorroman. Zu viele Menschen, eine zu gute Beleuchtung und zu wenig Platz für das Unbekannte. Darum verlagern viele Autoren ihre Geschichten gerne in ländliche Gebiete. So auch Stephen King, der in seinen Werken gerne eine romantisierte Version der amerikanischen Kleinstadt transportiert.

Wer schon einmal eine Kurzgeschichte oder einen Roman von Stephen King verschlungen hat ist mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit der kingschen Darstellung einer idyllischen, ländlichen Kleinstadt begegnet. Sei es in Kings Endzeit-Epos “The Stand“, in seinem Vampir-Thriller “Brennen muss Salem“ oder auch in Kurzgeschichten wie “Children of the corn“ oder “Die Leiche“. King stellt seine Kleinstädte als möglichst idyllisch dar, oft auch als Rückzugsorte für Menschen, die von dem Stadtleben geschunden sind (wie zum Beispiel in “Brennen muss Salem“), um dann diese Idylle zu zerstören: in “Children of the corn“ töten sämtliche Kinder der Ortschaft ihre Eltern um eine Sekte zu gründen, in “Brennen muss Salem“ wird die Kleinstadt von einem Vampir überrannt und fast die ganze Bevölkerung weggeschlachtet. Was Stephen King auf jeden Fall gerne macht: Idyllen zerstören.

King benutzt gerne einen Trick um die Atmosphäre seiner Kleinestädte zu erschaffen: kindliche Perspektiven. Der amerikanische Kultautor schafft es immer wieder in seiner Darstellung an Erfahrungen, die die meisten von uns als Kinder erlebt haben, anzuspielen. Die Gruppe von Freunden in “Die Leiche“, die aus ihrer normalen Welt ausbrechen und sich auf ein Abenteuer wagen, erinnert an eine Fantasie, die sicher jedes Kind schon einmal verspürt hat. Brennende Ferientage in der Freunde sich eine Clique an Freunden aufmacht um ein jahrhundertealten Clown zu bekämpfen, wie in “Es“. Kings Romane verkörpern oft ein Gefühl von kindlicher Abenteuerlust. Oft steht ein minderjähriger Charakter für eben diese Empfindungen parat. Kings Kleinstädte haben dadurch ein Gefühl von gefälschter Nostalgie.

Besonders interessant: nicht-amerikanische King-Leser kennen das Leben in den Kleinstädten der USA nur durch Erzählungen. Kings-Erzählungen verschwimmen mit Klischees über das Leben in den USA zu einer sehr schwammigen Perspektive aus Fiktion und Realität.





Ein Aspekt, der besonders in den Horror-Romanen Kings hervorsticht, ist die Abgeschiedenheit der amerikanischen Kleinstadt. In “Children of the corn“ sind die Hauptcharaktere die Ersten, die die von der Kindersekte kontrollierten Stadt finden, in “Brennen muss Salem“ dauert es einige Tage bis realisiert wird, dass die Bewohner der Kleinstadt verschwunden sind. Ein Erzähltrick, der in der Tradition Lovecrafts steht. H.P. Lovecraft, der Autor, der quasi den Sci-Fi-Horror revolutioniert hat, siedelte  oft seine Geschichten in Kleinstädten Neuenglands an. In “Schatten über Innsmouth“ stolpert zum Beispiel der Hauptcharakter über ein entlegenes Dorf, das von einer Sekte kontrolliert wird, in “Das Grauen von Dunwich“ bekommt es die Bevölkerung eines Dorfes mit einem neugeborenen Monster zu tun, und in “Der Fall Charles Dexter Ward“ wird gleich die ganze dunkle Geschichte einer Kleinstadt aufgedeckt. Wenn man Kings Werke liest, merkt man faszinierenderweise wie Lovecrafts Idee von einem vom Bösem und Unbekanntem heimgesuchten Dorf von King weiterentwickelt wurden und in ein modernes Korsett geschnürt wurden.