Mittwoch, 18. Oktober 2017

Charakterstudie als Katze

Videospiele sind für Vieles bekannt: WASD drücken um sich in einem virtuellen Raum zu bewegen, hauptsächlich. Aber die Wörterkombinationen „grandiose Geschichte“ und „bemerkenswerte Charakterzeichnung“ tauchen womöglich in Zusammenhang mit diesem Medium selten auf, wenn auch die storytechnisch minimalistischen Zeiten von Quake und Super Mario lange der Vergangenheit angehören. Bei Night in the woods, von Infinite Fall, kann man es durchaus durchgehen zu lassen diese Wörterkombinationen zu verwenden.

Night in the woods behandelt Vieles: missverstandene Nostalgie, Freundschaft, den Wandel der Zeit, zurückgelassene Jugend, Arbeiterrecht, lovecraftsche Monster und vor allem eins: Alltag. Hinter dem gelb und orange gestalteten Backdrop eines Spätherbstes wiederholt Night in the woods kleine Abläufe immer wieder, Aufwachen, Freunde besuchen, irgendeinen Unsinn anstellen und Schlafen gehen, rinse and repeat. Spielerisch ist das Ganze recht dünn, man bewegt sich zwar selber aber es gibt sehr viel (wenn auch sehr realitätsnahen) Text, unterbrochen wird die Monotonie (von sowohl Gameplay als Spielstruktur) von kleinen Minispielen,

Während Deus Ex und Heavy Rain ihre Entscheidungsmöglichkeiten werbeeffizient in die Welt hinaus schreien, bleibt Night in the woods ganz im Charakter und schweigt. Überraschenderweise kann man mehr an der Handlung verändern als erwartet und auch mit etwas Erforschungsdrang und Experimentierfreude kann man äußerst viele kleine Nebenhandlungen finden, von den meisten ich erst erfahren habe als ich sie in Youtubevideos erwähnt sah. Und keine dieser Nebenspuren fühlt sich wie eine holprige Landstraße an, sondern diese sind so gut wie immer so gut geschrieben wie das Hauptspiel und strotzen auch voll herbstlichen Bildern und interessanten Themen. Night in the woods lässt sich auch Zeit, was manchmal zu einem langsamen Spieltempo führt, aber auch so Themen wie dem Aufrechhalten einer Vorstellung einer Blütezeit mit allen Mitteln und zum Leidwesen anderer mit einem angemessenen Aufwand behandelt.


Wo es aber Night in the woods  komplett schafft ein beeindruckendes Ergebnis hinzulegen, ist die Charakterzeichnung. Von der Protagonistin, Mae, bis hin zu ihren Freunden sind ein Großteil der storyrelevanten (und sogar einige der Nebencharaktere) nachvollziehbar, sympathisch, mit ihren eigenen Hoffnung und Sorgen aber auch mit ihren eigenen Abgründen und Gemütsstörungen gezeichnet. Die große Anzahl an Text, deren Ausmaß teilweise an 2-D-Rollenspiele á la Planescape: Torment erinnert, ermöglicht eine relativ genaue Charakterbildung aber ohne zu oft in lange Expositionswellen zu verfallen. Und das ist etwas was man in einem Videospiel nicht jeden Tag sieht.




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